LandFrauen-Jahrbuch 2017: „Tante Emmas Erben“ – Mit Individualität zum Erfolg

csm_jahrbuch_2017_cover__e1c9df6b2fIm 170-seitigen LandFrauen-Jahrbuch 2017 des Niedersächsischen LandFrauenverbandes Hannover e.V. wurde jetzt ein Bericht über unseren Dorfladen, weitere Bürgerläden in Niedersachsen und deren Bedeutung für das Leben auf dem Lande veröffentlicht. Der Bericht: „Eigeninitiative statt Unterversorgung“ und „Anfangen, wo andere aufhören“ so lässt sich das bürgerschaftliche Engagement in immer mehr Dörfern beschreiben, um die Nahversorgung sicherzustellen. Um die Lebensqualität im Dorf zu erhalten. Um einen Treffpunkt im Dorf zu haben. Damit die Senioren so lange wie möglich in vertrauter Umgebung alt werden und sich selbst bestimmt versorgen können. Damit Kinder beim Einkauf „um die Ecke“ den Umgang mit Taschengeld lernen.

„Bürgerläden sind Mehrgenerationen-Projekte. Dorfläden 2.0 sind Selbsthilfeeinrichtungen aktiver Bürgerschaften in immer mehr Dörfern und von besonderer Bedeutung für die Zukunft der Dörfer“, betont Günter Lühning. Er ist Initiator des 2000 gegründeten und am 1. April 2001 eröffneten Bürgerladens in Otersen, einem 500 Einwohner zählenden Dorf an der Aller zwischen Verden und Walsrode.

2004 wurde dort das Dorfladen-Netzwerk (www.dorfladen-netzwerk.de) gegründet.  2011 wurde der neue, größere Dorfladen mit neuem DorfCafé in Betrieb genommen – in einem sanierten und erweiterten, 200 Jahre alten Fachwerkhaus. Die Dorfladen- & Café-Immobilie befindet sich im Eigentum der Bürger, die 100.000 € Eigenkapital als Fundament investierten – für den kleinen Lebensmittel-Markt, der längst zum Lebens-Mittelpunkt des Bundessieger-Dorfes geworden ist.

02_Dorfladen Otersen und DorfCafé sichern Nahversorgung und Lebensqualität

Wildemann im Harz, Roringen bei Göttingen sowie Bendingbostel und Otersen im Landkreis Verden zählten einst zu den Pionieren in Niedersachsen. Heute gibt es weit mehr als ein Dutzend Bürger-läden – bundesweit sind es sogar schon über 200. Nicht alle waren erfolgreich: 6 von gut 200 Bür-gerläden mussten wieder geschlossen werden, einige stehen aufgrund steigender Energiekosten und aufgrund des Mindestlohns vor großen Herausforderungen.

Beim Dorfladen-Netzwerk ist in den letzten Jahren steigender Informationsbedarf feststellbar. „Immer öfter sind engagierte Bürger und Kommunalpolitiker es leid, sich von den großen Lebens- mittel-Konzernen vorschreiben zu lassen, wie weit die Menschen auf dem Lande zum Einkaufen fahren müssen“, berichtet Günter Lühning, der inzwischen einer von zwei Vorstandssprechern der 2016 in Berlin gegründeten „Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden“  („BmD“) ist. Die neue BmD soll Interessenvertretung sein, den Informations- und Erfahrungs-Austausch fördern und Fortbildungen für Dorfladen-Mitarbeiterinnen und ehrenamtliche Vorstände und Aufsichtsräte von „Tante Emmas-Erben“ organisieren.

Beim Dorfladen in Otersen (www.dorfladen-otersen.de) wurde dazu eine Wissenstransferstelle für den ländlichen Raum eingerichtet, die bisher von Bürgergruppen aus vier norddeutschen Bundes-ländern genutzt wurde.

Zu den Erfolgsfaktoren für die neuen Nahversorger gehört die Individualität. Engagierte Bürger-schaften sollten keine Konzepte „kopieren“ sondern maßgeschneidert für das eigene Dorf oder die Region die Bedarfe ermitteln,  Chancen und Risiken abwägen, vor Ort die Möglichkeiten ausloten und dann ein Dorf-spezifisches Konzept entwickeln. 2008 und 2009 engagierten sich zum Beispiel zwei niedersächsische Gemeinden für die Nahversorgung. Im emsländischen Spahnharrenstätte errichtete die Gemeinde einen Dorfladen-Neubau, der an einen Betreiber vermietet wurde. In Fürstenberg bei Holzminden gründete die Gemeinde eine GmbH, die den neuen Dorfladen betreibt. Ganz anders das Modell in Resse bei Hannover: Hier sorgten die engagierten Bürger für mehrere hunderttausend € Eigenkapital, tragen eine Immobilien-Finanzierung, bauten einen Supermarkt und lockten einen Kaufmann als Betreiber nach Resse. Lebensqualität, wieder steigende  Einwohnerzahlen und eine positive Zukunftsperspektive für das Dorf sind die „Ernte-Ergebnisse“ für das Bürger-Engagement – „eine Rendite die unbezahlbar ist“, so Günter Lühning. Seit 2014 wurden in Niedersachsen die Dorfläden in Grohnde bei Hameln, Rössing und Bolzum bei Hannover, Adelheidsdorf bei Celle, Leese bei Nienburg und Wachenhausen bei Northeim „von Bürgern für Bürger“ eröffnet. Die nächsten Neueröffnungen stehen Rahde bei Zeven und Linsburg bei Nienburg bevor.

Alle Dorfladen-Bürgergesellschaften vereint die Liebe zur Heimat und der Wille, die Zukunft im Dorf positiv zu gestalten – statt nur den Mangel zu beklagen. Ein erfolgreicher Betrieb der Dorfläden 2.0 in der hart umkämpften Lebensmittel-Branche fällt aber nicht vom Himmel. „Die Einwohnerschaften müssen sich größtmöglich einig sein. Die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement darf nicht am Eröffnungstag enden, sondern ist fortzusetzen. Möglichst viele Dienstleistungen unter einem Dach, ein breites Lebensmittel-Sortiment mit 2.000 Artikeln und mehr, viele gute Lebensmittel aus der Region, eine gute Lage möglichst im Ortszentrum an der Durchgangsstraße, ausreichend Parkplätze, die besondere Herzlichkeit des Personals“, zählt Günter Lühning die Erfolgsfaktoren auf. „Letzt-endlich kommt es aber immer auf die Bürger an, die jeden Tag mit den Füßen abstimmen, ob der Dorfladen vor Ort Erfolg hat oder nicht. Wenn überwiegend nur die HIV-Produkte *) im Dorfladen gekauft werden, dann kann dieser nicht dauerhaft erfolgreich sein“. *)HIV=“hab ich vergessen“-Artikel

„Die Einwohner müssen den Mehrwert der wohnortnahen  Versorgung mit Lebensmitteln für die eigene Lebensqualität und auch für den Wert der eigenen Immobilie zu schätzen wissen. Wer mit 30, 40 oder 50 nicht oder zu wenig am Wohnort einkauft, braucht sich mit 70 über mangelnde Nahversorgung und weite Wege zum Einkaufen nicht zu beklagen“, bringt es Günter Lühning auf den Punkt.

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